Schul- und Studienzeit

    Johannes Kepler wurde als eines von sieben Kindern am 27. Dezember 1571 in Weil der Stadt in Württemberg geboren. Sein Vater Heinrich war ein Söldner und Abenteurer, der mit knapper Not dem Galgen entging. Die Mutter Katharina, eine Wirtstochter, wurde von einer Tante erzogen, die man später als Hexe verbrannte. 1576 begann ein ruheloses Umherziehen der Eltern zwischen Leonberg, Ellmendingen und wieder Leonberg, so konnte Johannes die Schule nur unregelmäßig besuchen und war erst mit dreizehn Jahren in der Lage, in die Klosterschule Adelberg einzutreten.

    Über die Beziehungen zu seinen Klassenkameraden schreibt Kepler:

    "Februar 1586. Ich litt schrecklich und starb beinahe an meinen Nöten. Der Grund war meine Schande und der Haß meiner Schulkameraden, die ich, von Furcht getrieben, angegeben hatte....... 1587. Am 4. April befiel mich ein Fieber, von dem ich bald genas, aber ich litt noch an dem Unwillen meiner Schulkameraden, mit deren einem ich mich vor einem Monat geprügelt hatte. Köllin wurde mein Freund, im Verlauf eines Streits, der beim Trinken entstand, wurde ich von Rebstock geschlagen; verschiedentlich Streit mit Köllin....."

    1589 folgte das Studium der Theologie, Mathematik und Astronomie in Tübingen. Mit 20 Jahren erlangte er den Grad des Magisters, doch bevor er seine Abschlussprüfung ablegen konnte, griff das Schicksal ein. Auf Grund einer Empfehlung des Tübinger Senats wurde Kepler die Stelle eines Lehrers der Mathematik und Astronomie in Graz angeboten. Vielleicht um den streitbaren jungen Mann loszuwerden, der einen schlechten Geistlichen, dafür aber einen guten Lehrer abgeben würde.

     

     


    Die Grazer Zeit
     

    Allgemein

    Noch bevor Kepler in Tübingen die Abschlussprüfungen an der Theologischen Fakultät abgelegt hatte, wurde ihm unerwarteterweise die Stelle eines Lehrers der Mathematik und Astronomie in Graz angeboten.

    "Da bot sich nun zuerst ein astronomisches Amt, zu dessen Übernahme ich jedoch (um die Wahrheit zu sagen) durch das Zureden meiner Lehrer gedrängt werden musste; nicht weil ich die weite Entfernung des Ortes gefürchtet hätte - hatte ich ja doch eine solche Furcht (wie schon gesagt) bei anderen verurteilt - , sondern wegen der unerwarteten und verachteten Art des Amtes und der Dürftigkeit meiner Ausbildung in diesem Teil der Philosophie.

    Ich nahm an, mehr mit Talent als mit Wissen ausgerüstet, mit der wiederholten Beteuerung, ich stehe von meinem Recht auf eine mir glänzender erscheinende Lebensstellung nicht ab."

    Somit kam der 23-jährige Magister, der eigentlich Theologe werden wollte, im April 1594 nach Graz, wo er seine Berufung erkennen sollte.
     

    Graz um 1600

    Graz war damals Residenz der Habsburger und Hauptstadt der innerösterreichischen Länder. Es wurde von einem katholischen Habsburger (residierte in der Burg) und von vorwiegend protestantischen Ständen (Landhaus) regiert. Dementsprechend hatte die Stadt eine katholische (Jesuiten-) Universität (gegenüber dem Dom) und eine protestantische Stiftsschule (Paradeishof). Neben der ständigen äußeren Bedrohung durch die Türken bestimmten vor allem innere Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten das Klima, das sich gegen Ende des Jahrhunderts für die Protestanten verschärfte, da der katholische Landesfürst rigoros die Gegenreformation unterstützte und das Land von Andersgläubigen säubern wollte.

      

    Lehrer in der Stiftsschule

    Kepler hielt sich selbst für keinen guten Lehrer und beschrieb sich als unbeständig, gedankenlos und voreilig; plötzliche Ausbrüche von Begeisterung scheinen in seinem Unterricht nicht selten gewesen zu sein. Dafür spricht auch, dass die ohnehin niedrige Schülerzahl in seiner Klasse nach dem ersten Jahr noch weiter abnahm. Andererseits sprachen ihm die Inspektoren ein gutes Zeugnis aus und zollten seinem Intellekt und seinem Charakter hohes Lob. Neben Mathematik und Astronomie unterrichtete er zeitweise auch über Rhetorik und Vergil. Bis zu seiner Hochzeit wohnte er auch im Gebäude der Stiftsschule. 

    Der Kalendermacher

    Den zweiten Teil seiner Anstellung bildete das Amt des "Landschaftsmathematikus", der für Eich- und Messwesen, Kartographie und die Erstellung der jährlichen Kalender zuständig war. Die Kalender stellten damals den Inbegriff der zeitlichen Ordnung dar und enthielten zusätzlich wichtige Voraussagen über Wetter, Ernte, Krankheiten, drohende Landplagen und bedeutende politische Ereignisse.

    Kepler zeigte sich als Mann ohne Vorurteil, indem er sich bereits bei seinem ersten Kalender für 1595 an die Gregorianische Zeitrechnung hielt, die sich bis dahin erst in den katholischen Ländern durchgesetzt hatte. Mit den Vorhersagen hatte er Glück, was einiges zu seinem Bekanntwerden beitrug.

    Bereits in den Grazer Kalendern zeigt sich Keplers Einstellung zur Astrologie: Er brauchte sie als Einnahmequelle, lehnte vieles als Scharlatanerie ab, benutze sie aber auch, um heilsame Mahnungen unters Volk zu bringen. Nebenbei arbeitete er lebenslang an der Begründung einer wahren, wissenschaftlichen Astrologie.

    "Es ist wohl die Astrologie ein närrisches Töchterlein, aber lieber Gott, wo wollte ihre Mutter, die hochvernünftige Astronomie, bleiben, wenn sie diese ihre närrische Tochter nicht hätte, ist doch die Welt noch viel närrischer und so närrisch, daß zu ihrer selbst Frommen diese alte verständige Mutter, die Astronomie, durch der Tochter Narrenteidung, zumal weil sie auch einen Spiegel hat, nur angeschätzt und angelogen werden muß.

    Alles nun, was in der Astrologie einer Erfahrung gleichsieht, und nicht offensichtlich auf kindischen Fundamenten beruht, das halte ich für würdig, daß man darauf achtgebe, ob es sich gewöhnlich also verhalte und zutrage. Und wenn es sich dann fast zu einer Beständigkeit anläßt, so halte ichs nun ferner für würdig, daß ich den Ursachen nachtrachte; ich verwerfe es auch nicht gleich ganz und gar, wenn ich schon die Ursachen nicht völlig ersehen kann."

     

    Das Selbsthoroskop

    Kepler erstellte viele Horoskope zu Studienzwecken. Damit wollte er Zusammenhänge zwischen der Himmelskonstellation zum Geburtszeitpunkt und den Charaktereigenschaften ermitteln. Im Alter von 26 Jahren analysierte er sich selbst und beschrieb sich so:

    Dieser Mensch hat in jeder Hinsicht eine Hundenatur. Er ist wie ein verwöhntes, gezähmtes Hündchen.Karikatur: Jörg Ehtreiber

    1.) Der Körper ist beweglich, dürr, wohlproportioniert. Die Nahrung ist für beide dieselbe. Er freut sich, an Knochen und harten Brotkrusten zu nagen, er ist gefräßig, ohne Unterschied reißt er, was immer er unter die Augen bekommt, an sich. Er trinkt wenig. Er ist sogar mit dem Geringsten zufrieden.

    2.) Auch der Charakter ist sehr ähnlich. Zunächst schmeichelt er sich ständig bei den Vorgesetzten (wie der Hund bei den Hausbewohnern) ein, er hängt in allem von anderen ab, er dient ihnen, er zürnt ihnen nicht, wenn er getadelt wird, er versucht auf jede Weise sich auszusöhnen. Er erforscht von sich aus alles in den Wissenschaften, in der Politik, im Hauswesen auch die nichtigsten Tätigkeiten. Er ist in ständiger Bewegung und verfolgt alle möglichen Leute, die alles mögliche tun, indem er dasselbe tut und denkt.

    Er ist ungeduldig im Gespräch und grüßt die, die häufig ins Haus kommen, nicht anders als ein Hund. Sobald ihm jemand das Geringste entreißt, knurrt er, wird heiß, wie ein Hund. Er ist verwegen, ein Gegner aller, die sich schlecht aufführen, er bellt nämlich. Er ist auch bissig, hat beißende Witzwörter parat. Den meisten ist er daher verhaßt und wird von ihnen gemieden, doch die Vorgesetzten haben ihn gern, nicht anders als die Hausbewohner einen guten Hund. Er schreckt vor Bädern, Flüssigkeiten und Waschungen zurück wie ein Hund.

    Text im Oringinal

     

    Das Geheimnis des Kosmos

    Bereits ein Jahr nach seiner Ankunft trug die Beschäftigung mit Astronomie Früchte: Kepler hatte einen Einfall, der zu seinem ersten Buch führte und sein weiteres Leben bestimmen sollte. Die Idee war, das das Universum von Gott nach geometrischen Figuren aufgebaut worden war: Das vollkommene Runde, die Kugel, als Sinnbild des Unbewegten, Göttlichen: im Mittelpunkt die Sonne, außen die Sphäre der Fixsterne, dazwischen Licht und Kraft der Sonne (entsprechend Gott Vater, Sohn und dem Hl. Geist); das vollkommene Gerade, die fünf platonischen Körper, als Ordnungsrahmen des Bewegten, der sechs Planeten (in kopernikanischer Reihenfolge: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn). Diese Idee der Harmonie des Alls, ausgeführt im 1596 erschienenen Buch "Mysterium cosmographicum", wurde zur zentralen Idee Keplers Weltanschauung. Obwohl aus heutiger wissenschaftlicher Sicht falsch, führte sie zu den Planetengesetzen und damit zur modernen Astronomie.

    Das Buch machte Kepler in der Gelehrtenwelt bekannt und brachte ihm vor allem den Kontakt mit Tycho Brahe, dem führenden Astronomen der Zeit, zu dem er nach seiner Vertreibung aus Graz ziehen sollte.
     
     

    Entstehung und Inhalt des "Mysterium cosmographicum"

    Während einer Unterrichtsstunde, als Kepler gerade eine Figur an die Tafel zeichnete (Kreise mit eingeschriebenen regelmäßigen Vielecken), ergriff ihn ein Gedanke mit solcher Macht, dass er das Gefühl hatte, den Schlüssel zum Geheimnis der Schöpfung in Händen zu halten.

    Ausgehend von dieser zufällig für einen anderen Zweck gezeichneten geometrischen Figur, fiel ihm beim Anblick der beiden Kreise auf, dass deren Verhältnis zueinander das gleiche war, wie das der Jupiter- und der Saturnbahn.

    "Ja, genau. Saturn und Jupiter sind die äußersten Planeten, das Dreieck die erste Figur in der Geometrie. Zwischen Jupiter und Mars kommt dann ein Viereck, ... Fünfeck,...Sechseck...."

    So ging es nicht, aber er spürte, dass er dem Geheimnis ganz nahe war.

    "Wozu suchte ich nach zweidimensionalen Formen, die zu Bahnen im Raum paßten? Nach dreidimensionalen Formen muß man suchen...."

    Es gibt nur 5 regelmäßige Körper im dreidimensionalen Raum, diese vollkommenen Körper, bei denen alle Flächen gleich sind, heißen die "platonischen Körper". Es sind das das Tetraeder, das Hexaeder (Würfel), das Oktaeder, das Dodekaeder und das Ikosaeder.

    Keplers Idee bestand nun darin:

    "Die Erdbahn ist das Maß für alle anderen Bahnen. Ihm umschreibe ein Dodekaeder, die diesen umspannende Sphäre ist der Mars. Der Marsbahn umschreibe ein Tetraeder, die dieses umspannende Sphäre ist der Jupiter. Der Jupiterbahn umschreibe man einen Würfel. Die diesen umspannende Sphäre ist der Saturn. Nun lege in die Erdbahn ein Ikosaeder; die diesem eingeschriebene Sphäre ist die Venus. In die Venusbahn lege ein Oktaeder, die diesem eingeschriebene Sphäre ist der Merkur."

    Es gab nur fünf vollkommene Körper - und fünf Zwischenräume zwischen den Planeten. Unmöglich durfte man da annehmen, dass dies zufällig und nicht von Gott gewollt sei. Er schrieb später:

    "Die hohe Freude, die ich über meine Entdeckung empfand, werde ich niemals in Worte fassen können."

    Dieser plötzliche Einfall bestimmte den Verlauf seines Lebens und blieb seine wichtigste Eingebung. Der Gedanke war aus heutiger Sicht völlig falsch, dessen ungeachtet führte er schließlich zu den Keplerschen Gesetzen, der Zerstörung des antiken Universums und der Entstehung der modernen Kosmologie. Er wird in Keplers ersten Buch erklärt, dem "Mysterium Cosmographicum" (Geheimnis des Kosmos).

    Die Vorrede bestand aus einem begeisterten und klaren Bekenntnis zu Kopernikus. Es tönte wie eine Fanfare zum Lob der prächtigen neuen heliozentrischen Welt. Im ersten Teil kam Kepler auf seinen Hauptbeweis zu sprechen. Dieser bestand in der Schlussfolgerung, Gott könne nur eine vollkommene Welt geschaffen haben; da bloß fünf Körper existieren, seien sie offensichtlich dazu bestimmt, zwischen die Bahnen der sechs Planeten gelegt zu werden - wo sie sich vollkommen einfügen.

    Am Ende des ersten Teiles stoßen wir auf Keplers erste Auseinandersetzung mit der Musik. Auf der Suche nach Wechselbeziehungen zwischen seinen vollkommenen Körpern und den harmonischen Intervallen spielte er auf die pythagoräische Harmonie der Sphären an. In Graz, wo es zwei Zentren der Musikpflege gab, erhielt Kepler Anregungen für seine musiktheoretischen Überlegungen. Diese Zentren, die beide eine nicht unangefochtene Öffnung zur italienischen Gesellschaftsmusik zeigten, waren einerseits die Stiftsschule, andererseits der Habsburgerhof Erzherzog Karls und ab 1595 Ferdinands.

    Im zweiten Teil des Buches versuchte Kepler alle Widersprüche wegzuerklären und alle Unstimmigkeiten zwischen seinem Traum und den Beobachtungstatsachen zu beheben. Danach wandte er sich dem verheißenden Problem zu, das kein Astronom vor ihm in Angriff genommen hatte. Er suchte nach der mathematischen Beziehung zwischen dem Abstand eines Planeten von der Sonne und dessen Umlaufzeit. Niemand vor Kepler hatte sich diese Fragen gestellt, Astronomie und Physik vereinigten sich nach einer Trennung von zweitausend Jahren. Seine Theorien waren wiederum falsch, doch bildeten sie den Grundstein für das dritte Gesetz.

    1596 war es dann endlich soweit. Im Februar lagen die Rohabzüge des Buches vor, welche unter der Aufsicht von Keplers Lehrer Mästlin gedruckt worden waren, und Kepler erbat Urlaub in Graz, um nach Württemberg reisen und Abmachungen über das Erscheinen des Buches treffen zu können.

    Als das Mysterium im Frühjahr 1597 endlich im Druck erschien, sandte der junge, stolze Autor allen führenden Gelehrten Exemplare, sogar an Galilei und Tycho de Brahe. Der Erfolg war bemerkenswert gut, die Aufnahme, die es fand, war indessen nicht überraschend. Noch nie hatte ein Astronom vor Kepler die physikalischen Ursachen der Bewegungen, die Kräfte der Natur, die sich dahinter verbergen, zu berechnen versucht. Die Aufgabe des Astronomen bestand darin, zu beobachten, zu beschreiben und vorauszusagen, doch nicht nach Ursachen zu suchen. Die Meinungen der Gelehrten waren je nach geistiger Haltung geteilt. So lehnte Galilei Keplers Werk von Anfang an ab. Ein Einziger erkannte den wahren Wert dieses Buches, obwohl er Keplers Spekulationen verwarf: der hervorragendste Astronom der Zeit, Tycho de Brahe.

     

    Der kosmische Becher
     

    Kaum war sein erstes Buch erschienen, begeisterte sich Kepler für die Idee, sein Modell des Universums in Form eines Trinkbechers ausführen zu lassen. Dazu beredete er Friedrich, den Herzog von Württemberg, stellte in wochenlanger Arbeit mehrere Papiermodelle her und reiste mehrmals nach Württemberg. Er schrieb an den Herzog: 


    "Der Allmächtige hat mir vergangenen Sommer nach langwieriger Mühe und Arbeit eine großartige Idee offenbart. Die Demonstration dieses Einfalls könnte zierlich und passend in die Form eines Kredenzbechers gebracht werden. Dieser wird ein Ebenbild der Welt, ein Muster ihrer Erschaffung darstellen, soweit menschliche Vernunft dies zu erfassen vermag; dergleichen wurde zuvor noch von keinem Menschen gesehen. 

    Wenn Euer fürstliche Gnaden das Werk größerer Kosten würdigen, könnten die Planeten aus Edelsteinen geschnitten werden, Saturn ein Diamant, Jupiter ein Hyazinth, Mars ein Rubin, die Erde ein Türkis oder Magnet, Venus ein gelber Augstein, Merkur ein Kristall, die Sonne ein Garfunkel und der Mond eine Perle. Und weil es ein Becher sein soll, möchte darinnen eine Ergötzlichkeit zu Trinken gesucht werden. Im äußersten Rand müßten sieben Zapfen sein, mit den Symbolen der sieben Planeten versehen, so daß aus ihnen siebenerlei Getränk gesogen werden könnte. Dem Unwissenden würde Schimpf zukommen."

    Das Projekt zog sich mehrere Jahre hin, wurde zu einem Himmelsglobus samt Planetarium verändert, aber niemals verwirklicht. Es scheiterte wohl in erster Linie an den Kosten des ehrgeizigen Vorhabens.

     

    Die Heirat
     

    Im Jahr 1596 begannen einflussreiche Freunde Keplers mit der Werbung für eine Braut für Kepler. Die Wahl fiel auf Barbara Müller, die zweimal verwitwete Tochter eines reichen Mühlenbesitzers. Nach einigem Hin und Her wurde die Hochzeit am 27. April 1597 vollzogen und im Stubenberghaus in der Stempfergasse gefeiert (heute befindet sich an der Stelle dieses Hauses das Palais Inzaghi, Ecke Bindergasse/Bischofsplatz). Dort bezog das junge Paar seine Wohnung, öfters weilte Kepler aber auch im Schloss Mühleck in Gössendorf, wo er auch einen Turm für astronomische Beobachtungen zur Verfügung hatte. Anlässlich seiner Hochzeit schrieb er:

     

    "Der Stand meines Vermögens ist derart, daß, wenn ich innerhalb Jahresfrist sterben würde, kaum jemand schlimmere Verhältnisse nach seinem Tod hinterlassen könnte. Ich muß große Auslagen aus meinem Eigenen machen, denn hier ist es Sitte, die Hochzeit aufs glänzendste auszurüsten. Wenn mir aber Gott ein längeres Leben schenkt, so ist es sicher, daß ich mit dem hiesigen Ort verbunden und verkettet bin, was immer aus unserer Schule werden mag. Denn meine Braut hat hier Güter, Freunde, einen wohlhabenden Vater.

    Ich werde auch das Land nicht verlassen können, außer wenn sich ein öffentliches oder privates Unglück ereignet. Ein öffentliches, wenn für einen Lutheraner das Land nicht mehr sicher ist oder wenn es von dem Türken näher bedrängt wird. Ein privates Unglück wäre es, wenn meine Frau sterben würde."

    Über seine Frau sprach Kepler nicht in den höchsten Tönen: Er beschrieb sie als dick, wirr und unbeholfen, oft melancholisch, geizig, aber "von Kinderlieb ganz und gar gefangen". Nach ihrem Tod (1611 in Prag) klang er anders:

    "Ich hatte eine Lebensgefährtin, ich will sie nicht teuerste nennen, denn das ist immer so oder sollte so sein, nein, eine Frau, der die öffentliche Meinung die Palme der Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit und Sittsamkeit darreichte, womit sie unstreitig in seltenster Weise Schönheit des Äußeren und Heiterkeit des Gemüts verband, um von den nach außen hin verborgenen Eigenschaften zu schweigen, der Frömmigkeit gegenüber Gott und der Wohltätigkeit gegenüber den Armen."

     

    Keplers erste Frau Barbara Müller
    (Medaillon, Graz 1597)
    Kepler bei seiner ersten Hochzeit 
    (Medaillon, Graz 1597)

     

    In Graz wurden dem Paar zwei Kinder geboren, ein Knabe und ein Mädchen, beide starben jedoch nach kurzer Zeit. Außer diesen beiden brachte Barbara in Prag noch drei Kinder zur Welt, von denen zwei am Leben blieben.
     

    Krankheit

    Kepler beschrieb sich selbst als oftmals kränkelnd, doch offenbar war er auch zäh und widerstandsfähig. Vor allem sein Magen und seine Gallenblase bereiteten ihm immer wieder Schwierigkeiten, außerdem litt er öfters an Hautausschlägen und Furunkeln und war kurzsichtig.

    Die Pest hatte Graz bereits vor Keplers Zeit heimgesucht, sie grassierte allerdings in Ungarn und bereitete Kepler Angst:

    "Überall in Ungarn haben sich blutige Kreuze an den Körpern der Menschen und andere ähnliche blutige Male an den Türen der Häuser, den Bänken und den Wänden gezeigt (was die Geschichte als ein Anzeichen einer allgemeinen Pestilenz erweist). Als erster nun in unserer Stadt, soweit ich weiß, habe ich ein kleines Kreuz an meinem linken Fuß erblickt, dessen Farbe vom Blutrot ins Gelb übergeht. Die Stelle ist am Fuß, wo der Rücken des Fußes sich gegen die Höhlung der Sohle zu wendet, mitten zwischen den Zehenwurzeln und dem Ende des Schienbeins.

    Ich möchte glauben, daß gerade an dieser Stelle der Nagel in den Fuß Christi geschlagen wurde. Manche tragen, wie ich höre, Male in Form von Blutstropfen in der Höhle der Hand. Aber hier zeigt sich bisher nicht die Form wie bei mir."

    Hier erfüllten sich Keplers Ahnungen nicht - er blieb von der Pest verschont.

     

    Die Vertreibung

    Im Jahr 1598 ließ Erzherzog Ferdinand II. die protestantische Stiftsschule schließen und evangelische Lehrer und Prediger ausweisen. Auch Kepler musste Graz verlassen und reiste auf einem Floß über die Mur nach Ungarn, durfte jedoch als einziger bald zurückkehren, obwohl er nicht zum Katholischen Glauben konvertierte. Grund dafür waren wohl seine guten Beziehungen zu den Jesuiten, die in Astronomie und Mathematik führend an der damaligen Forschung beteiligt waren. Auch mit anderen Katholiken war Kepler befreundet, etwa mit Herwart von Hohenburg, dem einflussreichen Kanzler von Bayern, mit dem er in Briefwechsel stand. Außerdem war bekannt, dass er auch mit der Lehre Luthers nicht in allen Punkten übereinstimmte.

    Trotz allem hielt er unbeugsam an seinem Glauben fest und verbrachte noch zwei schwierige Jahre in Graz. Im Jahr 1600 beobachtete er mit einer "camera obscura" (Lochkamera) noch eine Sonnenfinsternis auf dem Grazer Hauptplatz und bestieg den Grazer Hausberg, den Schöckel:

    "In Steiermark ist ein Berg Schekel (Schöckel, 1445 m Seehöhe); wenn dieser sich mit einer kleinen Kappe bedeckt, steht sicher ein Unwetter bevor. Es ist das ein Berg von steiler ungeheurer Höhe, der die umliegenden Berge, die wahrlich auch nicht niedrig sind, um die Hälfte einer deutschen Viertelsmeile überragt, unter Berücksichtigung der Krümmung der Erde. Als ich auf ihm eine Beobachtung über die Krümmung der Erde mit Hilfe der Berge ohne den Himmel anstellte, sah ich, um Euch zwischenhinein eine Freude zu machen, viel Ergötzliches.

    Als wir an einem Sonntag hinaufstiegen, herrschte erst eine klare heiße Luft. Als wir auf dem Gipfel des ragenden Felsen standen, erhoben sich unterhalb des Berges allmählich Nebel. In Graz, das zwei Meilen entfernt ist, herrschte ein starkes Gewitter mit Donnerschlägen, die wir nicht hörten. Wir sahen alles unter uns. Die unteren Berge, nach denen wir zu visieren hatten, sah man durch die dunstige, dampfende Luft nur schlecht, nach der Zerteilung des Gewitters besser. Neben und unter uns sahen wir in der Luft hängende Wolken, schreckhaft geborsten, von ungeheurer Geschwindigkeit.

    Bisher hatte uns immer die Sonne geschienen. Plötzlich umringte uns ein Nebel, der wie rasend ungestüm vom Fuß des Berges zum Gipfel heraufstieß und schräg an uns vorbeistrich. Einige Augenblicke lang brach ein Regen vermischt mit kaltem Hagel los. Wo zuvor jene Seite vom Nebel bedeckt gewesen war, auf der sich vom Berg aus eine Aussicht weithin nach Ungarn und nach dem türkischen Gebiet auftut, zeigte sich ein wunderbarer Anblick. Über uns war Nebel, der den Himmel verhüllte, unter uns strahlendste Helle. Denn die Sonne beleuchtete nun das unter uns liegende Land, und zwar so stark, daß ein Stück Papier, das man hinhielt, mehr Licht von der Erde empfing, als von dem Nebel oben. Die Flüsse aber glänzten, obwohl sie gerade stürmisch waren, überaus hell.

    Es befindet sich auf dem Berg ein Schlund, ein Abgrund, von dem so viele Gewitterdünste aufsteigen, daß eine uralte Sage behauptet, durch das Werfen eines kleinen Steinchens werde ein Hagel verursacht, das heißt es hagelt eben sehr oft, ob man Steine hinunterwirft oder nicht; ich halte das für eine Täuschung der Sage. Denn wir haben das Loch nicht gefunden und doch entstand ein Hagel, wenn wir nicht vielleicht eben durch unsern Aufstieg den Berg gereizt haben."

    Im Herbst mußte er die Stadt mit seiner Familie endgültig verlassen. Er ließ einige Freunde zurück, mit denen er in Briefwechsel blieb, etwa dem Jesuiten und großartigen Mathematiker Paul Guldin. Weiters verbanden ihn Geldangelegenheiten mit den Verwandten seiner Frau oder mit den Landständen. War er sich wohl bewußt, daß die Grazer Zeit sein Leben und Werk wesentlich prägten, so klingt sein finanzielles Resümee wenig schmeichelhaft:

    " Wenn es sich gerade ums Geld handelt, so muß ich sagen, daß ich in Graz geschunden worden bin."

     


    Kaiserlicher Astronom in Prag

     
    "Laßt alle schweigen und auf Tycho horchen, der fünfunddreißig Jahre seines Lebens den Beobachtungen gewidmet hat....Auf Tycho allein warte ich, er wird mir die Ordnung und Natur der Bahnen erklären....Dann so hoffe ich, wenn Gott mich am Leben erhält, werde ich eines Tages einen wunderbaren Bau errichten."

    Doch Tycho weigerte sich, seine Beobachtungen zu veröffentlichen, bevor sein eigenes System ausgearbeitet war. Eifersüchtig bewahrte er seinen Schatz, Bände voll Zahlen und Daten, das Ergebnis eines ganzen Lebens voll Arbeit.

    "Jedes seiner Instrumente kostet mehr, als was mein und meiner Familie Vermögen zusammen ausmacht. Meine Meinung über Tycho ist die: Er ist über die Maßen reich, weiß aber keinen rechten Gebrauch davon zu machen, deswegen muß man versuchen, ihm seine Reichtümer zu entwinden."

    Mit diesem Ausspruch enthüllte Kepler seine Absichten gegenüber Tycho de Brahe, ein Jahr bevor sich die beiden Männer das erste Mal begegneten.
     
     

    Tycho Brahe (1546 - 1601)

    Im Gegensatz zu Johannes Kepler war Tycho de Brahe ein Adeliger. Als Student verlor er in einem Zweikampf ein Stück seiner Nase, welches durch eine Legierung aus Gold und Silber ersetzt wurde. Am Ende seines ersten Studienjahres des Studiums der Rhetorik und Philosophie wurde er Zeuge einer teilweisen Sonnenfinsternis, die selbstverständlich zuvor angekündigt worden war. Nicht die teilweise Sonnenfinsternis war für ihn so überwältigend, sondern die Möglichkeit, Ereignisse am Himmel vorhersehen zu können. Sein Interesse war kein spekulatives, sondern eine Leidenschaft für genaues Beobachten. Während seines Studiums kaufte er sich ständig bessere und größere Instrumente zur Beobachtung der Planeten, zum Beispiel einen riesigen Quadranten aus Messing und Eichenholz. Tycho machte nie eine epochale Entdeckung, doch wurde er zum Vater der modernen Astronomie, durch seine Entdeckung der Notwendigkeit präziser und lückenloser Beobachtungstaten. Er war wie Kepler der Astrologie ergeben, so wurde auch er Hofastrologe, glaubte auch an den Einfluss der Sterne auf den Charakter der Menschen.

    König Friedrich II. von Dänemark, der in Tycho den hochbegabten Astronomen bereits erkannte, versuchte, nachdem Tycho ein Jahr auf Reisen war und sich schon in Basel niederlassen wollte, ihn mit allen Mitteln in Dänemark festzuhalten. So machte er 1576 Tycho ein unausschlagbares Angebot: Eine zweitausend Morgen große Insel im Sund, genannt Hven, mit einem eigenen Observatorium und einem zusätzlichen hohen Einkommen, alles auf Kosten Dänemarks. Tycho nahm dieses Angebot an, es entstand das Observatorium Uraniborg, wo er zwanzig Jahre lang lebte und arbeitete. Er besaß unzählige Sonnenuhren, Globen, eine eigene Druckerpresse, einen Alchemistenofen, eine Apotheke, Wildgehege, Fischweiher und ein Privatgefängnis. Tychos größter Himmelsglobus, fünf Fuß im Durchmesser und ganz aus Messing, kostete fünftausend Taler, das achtzigfache von Keplers Jahresgehalt. In diesen Globus wurden nach und nach die Fixsterne eingraviert.

    Nach zwanzig Jahren Arbeit, wurde er auf seiner Insel immer gelangweilter und ruheloser, und so kam ihm die Auseinandersetzung mit dem nun herrschenden König Christian IV. nur recht, um einen Grund zu haben, wieder auf Reisen zu gehen. Zwei Jahre zog Tycho umher, bevor er sich 1599 in Prag niederließ, wo er zum Hofmathematikus Rudolfs II. mit eigenem Schloss nach Wahl und dreitausend Gulden Gehalt jährlich, wurde.

    Sein Weltbild war ein Kompromiss zwischen dem Ptolemäischen mit der ruhenden Erde und dem Kopernikanischen. Es beließ zwar die Erde im Zentrum des Universums, doch um diese als Mittelpunkt bewegten sich nur Mond und Sonne, die restlichen Planeten umkreisten die Sonne. Tycho war ein brillanter Beobachter, der eine Genauigkeit von 2 Bogenminuten erreichte - aufgrund seiner nicht so ausgeprägten mathematischen Fähigkeiten war er jedoch nicht in der Lage, sein eigenes Weltbild durchzurechnen. Er glaubte, im jungen Kepler den Mann gefunden zu haben, der dieses System theoretisch begründen sollte.

    Vor dem Zusammentreffen der beiden auf Schloss Benatek bei Prag standen sie zwei Jahre lang in Briefwechsel. Am 4. Februar 1600 standen sich die beiden so gegensätzlichen Charaktere erstmals gegenüber. Durch Keplers Erscheinen kam es zu einer Umverteilung der Arbeiten, so bekam er den Mars zugewiesen, den bekanntermaßen schwierigsten Planeten. Doch für Kepler war es eine Ehre, und er behauptete das Problem in acht Tagen zu lösen, worauf er sogar eine Wette einging.

    Acht Jahre sollte es dauern, bis er mit den Marsdaten zu seiner "Neuen Astronomie" kam. Keplers Theorie von den fünf platonischen Körpern trat nun immer mehr in den Hintergrund, obwohl er sie nie ganz aufgab. Zum ersten Mal arbeitete Kepler mit so genauen Daten, dass er begreifen konnte, was Präzision in der Astronomie wirklich bedeutete.

    "Tycho besitzt die besten Beobachtungen und damit sozusagen das Material zur Errichtung des Neubaus; er hat auch Mitarbeiter und was er nur wünschen kann. Bloß der Baumeister fehlt ihm, der alles nach einem Plan nutzen kann. Denn obgleich er eine glückliche Veranlagung und wirkliches baumeisterliches Geschick besitzt, wird er an der Weiterentwicklung durch die Vielzahl der Phänomene und die Tatsache gehindert, daß die Wahrheit in diesen tief verborgen liegt. Langsam beschleicht ihn auch das Alter und schwächt seinen Geist und seine Kräfte."

    Es gab keinen Zweifel darüber, dass Kepler dieser Baumeister sein konnte, er allein hatte das Wissen, um mit diesen Daten ein neues Universum aufzubauen, er musste nur noch alle seine Zahlen entziffern. Tycho selbst wusste und fühlte, dass er nicht mehr die Kraft hatte, dieses Werk zu vollenden, sondern Kepler allein fähig war diesen Schritt zu tun. So konnte Tycho es Kepler nur noch so schwierig wie möglich machen, und sträubte sich immer wieder, Kepler seine Daten zu zeigen. Die beiden unterhielten sich also nur beim Essen über astronomische Themen, und erst als Tycho Kepler den Mars übergab, musste er ihm auch die Daten des Planeten geben.

    Achtzehn Monate dauerte die Verbindung zwischen Kepler und Tycho, bis zu Tychos Tod.

    Der große Däne wiederholte im Delirium immer wieder die Worte; "Möchte doch mein Leben nicht umsonst gewesen sein". Dieser Wunsch richtete sich eindeutig an Kepler. Tycho wurde mit großen Gepränge in Prag beigesetzt. Schon zwei Tage später wurde Kepler zum kaiserlichen Mathematiker als Nachfolger Tychos ernannt.

    Kepler blieb von 1601 bis 1612, bis zum Tod Rudolphs II., als kaiserlicher Mathematiker in Prag. In dieser seiner fruchtbarsten Zeit beschäftigte er sich gleichzeitig als Gründer dieser neuen Wissenschaften, mit "Instrumentaler Optik" und "Physikalischer Astronomie".

    1604 erschien ein heller, neuer Stern im Sternbild des Schlangenträgers, er erregte noch mehr Aufregung, als Tychos berühmte Nova von 1572. Keplers Buch "De stella nova" 1606 beschäftigt sich in erster Linie mit der astrologischen Bedeutung des Sterns. Der Stern von 1604 heißt heute noch "Keplers Nova".

     

    Die neue Astronomie

    Sein wichtigstes Werk erschien 1609 und trägt den Titel "Astronomia nova" - die neue Astronomie. Seit seiner Ankunft in Benatek arbeitete er bis 1606 mit Unterbrechungen an dem Buch. Dieses Werk enthält die beiden ersten Planetengesetze. Sie gehören zu den Fundamenten unseres Weltbildes und waren die ersten Naturgesetze im modernen Sinn. Endlich konnte sich die Astronomie von der Theologie befreien, die fixe Idee von Kristallsphären mit ihrem unsichtbaren, unmöglichen Räderwerk wurde aufgegeben, an ihre Stelle traten Planeten, die wie die Erde im Raum um die Sonne schwebten, bewegt durch eine unsichtbare Kraft. Im folgenden soll der Weg, den Kepler bis zur Entdeckung seiner beiden Gesetze eingeschlagen hat, kurz geschildert werden.

    Nach seinem Eintreffen auf Schloß Benatek wurde Kepler das Studium der Bewegungen des Planeten Mars zugewiesen. An dieser Aufgabe war Tychos erster Assistent, Longomontanus, wie Tycho selbst gescheitert. Kepler meinte später, es war ein Werk der Vorsehung, denn nur am Planeten Mars kann man in die Geheimnisse der Astronomie eindringen. Die Marsbahn weicht am stärksten von der Kreisbahn ab und lässt die Form der Ellipse am deutlichsten hervortreten.

    Er versuchte das Problem zuerst auf herkömmliche Weise zu lösen, doch als er keinen Erfolg hatte, begann er Ballast abzuwerfen und fuhr damit so lange fort, bis er alle antiken Vorstellungen über die Natur des Universums verworfen und sie durch eine neue Wissenschaft ersetzt hatte.

    Da die Kraft zur Planetenbewegung von der Sonne ausging, musste die Sonne auch im Mittelpunkt stehen, genau genommen in einem der Brennpunkte, aber Kepler wusste noch nicht von der Existenz der Ellipse sondern hielt noch am Kreis fest. Weiters liegen die Bahnen aller Planeten in einer Ebene, die durch die Sonne geht, wenn auch nicht ganz genau. Als drittes ließ er die gleichförmige Bewegung der Planeten fallen, behielt aber die Kreisbahn bei. Er ließ sich von folgender physikalischen Überlegung leiten: Da die Sonne im Mittelpunkt steht und die Bewegung bestimmte, muss ihre Kraft auf den Planeten stärker wirken, wenn er nahe an ihrem Ursprung war, und weniger stark, wenn er weiter weg war.

    Es folgten unzählige Berechnungen einzelner Daten; Keplers erste Berechnungen beanspruchten nicht weniger als neunhundert eng beschriebene Folioblätter!

    "Wenn du lieber Leser gelangweilt bist von dieser mühsamen Art der Berechnung, dann habe Mitleid mit mir, der diese zumindest siebzigmal wiederholen mußte, mit großem Verlust an Zeit; du wirst auch nicht überrascht sein, daß jetzt beinahe fünf Jahre vergangen sind, seit ich mich mit Mars beschäftige..."

    In den nächsten beiden Kapiteln erklärte Kepler, wie er entdeckte, dass die Hypothese falsch sei. Es ist zu beachten, dass seine Theorie des Mars sich nur um acht Bogenminuten von den beobachteten Positionen unterschied. Diese acht Bogenminuten wurden nicht einfach vernachlässigt, sondern sie zeigten den Weg zu einer völligen Umgestaltung der Astronomie. Im "Mysterium cosmographicum " werden die Fakten gewaltsam der Theorie angepasst, in der "Astronomia nova" wurde eine in Jahren harter Arbeit und Qual aufgebaute Theorie augenblicklich fallengelassen, wegen einer Unstimmigkeit von acht Bogenminuten.

    So musste Kepler nun die Marsbahn konstruieren, ohne vorgefasste Vorstellung ihrer Gestalt. Dazu musste er zuvor die Bewegung der Erde genauer überprüfen, denn sie ist schließlich unser Observatorium. Dies gelang ihm, und er stieß auf sein "zweites" Gesetz: Je näher ein Planet zur Sonne steht, desto rascher wird er sich bewegen. Der von der Sonne nach einem Planeten gezogene Radiusvektor überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Danach kam er erneut auf die Frage der Marsbahn. Nachdem er zum letzen mal versucht hatte, dem Mars eine kreisförmige Bahn zuzuschreiben, endete er mit den Worten:

    "Die Schlußfolgerung ist ganz einfach, daß die Bahn des Planeten kein Kreis ist - sie buchtet sich an beiden Seiten ein und an beiden einander entgegengesetzten Enden aus. Eine solche Figur heißt ein Oval. Die Bahn ist kein Kreis, sie ist eine ovale Figur."

    Doch diese Bahn entstellte den ewigen Traum der Harmonie der Sphären, der dem ganzen Unternehmen zugrunde lag. Nun begann Keplers Kampf mit dem Ei, der sich durch ganze sechs Kapitel erstreckte und ein Jahr von Keplers Leben beanspruchte. Am 4. Juli 1603 hielt er die Lösung schon fast in den Händen und schrieb einem Freund, dass er nicht fähig sei, die geometrischen Probleme des Eies zu lösen.

    "Wenn bloß die Form eine vollkommene Ellipse wäre, ließen sich alle Antworten bei Archimedes und Apollonius finden."

    Es ist schon erstaunlich, dass er bei seinen Berechnungen ständig Ellipsen verwendete, doch bloß als Hilfsmittel, um durch Approximation die Fläche des Eies zu bestimmen. Am Ende, als sich sein Ei in Rauch auflöste, entschloss er sich noch einmal ganz von vorn anzufangen, und begann mit der Berechnung einer ganzen Reihe von Mars-Sonne-Entfernungen von verschiedenen Punkten der Bahn. Endlich, nach sechs Jahren Arbeit, hatte er die Bewegung der Marsbahn erfasst, doch erkannte er die Formel, die die Planetenbahn des Mars als Ellipse definierte, noch immer nicht. Ein letzter neuer Versuch führte ihn zum Ergebnis, das er selbst wie folgt schilderte:

    "Wozu soll ich herumreden? Die Wahrheit der Natur, die ich verschmäht und fortgejagt hatte, kehrte verstohlen durch die Hintertür zurück, in einer Vermummung, um sich Eintritt zu verschaffen. Das heißt, ich legte die ursprüngliche Gleichung beiseite und griff wieder auf Ellipsen zurück, da ich glaubte, das wäre eine völlig andere Hypothese, während beide, wie ich im nächsten Kapitel beweisen werde, ein und dasselbe sind. Ich dachte und suchte, bis ich beinahe verrückt wurde, nach einem Grund, warum der Planet eine elliptische Bahn der meinen vorzog. Ach was für ein lächerlicher Vogel bin ich doch gewesen!"

    Der Rest des Buches war eine Art Säuberungsaktion nach dem endgültigen Sieg, Kepler zerstörte nicht nur den antiken Bau, er errichtete an dessen Stelle einen neuen.

    Das Buch ging 1608 in den Druck, der im Sommer 1609 in Heidelberg abgeschlossen wurde. Kepler war seiner Zeit weit voraus, was sich an den negativen Reaktionen seiner Freunde zeigte, man wünschte ihm zwar alles Gute, aber er blieb unverstanden. Weder sein Lehrer Mästlin, Galileo Galilei und seine deutschen Landsleute erkannten den Wert der Entdeckungen, sondern die Briten. Erst im Licht der Newtonschen Mechanik bekamen Keplers Entdeckungen einen Sinn.

    Nun kehrte Kepler wieder zu seinem Lieblingstraum zurück, der Harmonie der Sphären, er veröffentlichte zwei polemische Arbeiten über Astrologie, eine Flugschrift über Kometen, eine andere über die Form der Schneekristalle, und setzte auch seine Arbeiten an Kalendern und Wettervorhersagen fort. Er war in aller Welt ein berühmter Gelehrter, und endlich konnte er sich in der feinen Gesellschaft in Prag bewegen. Trotz alledem lebte er in ständiger Furcht vor Armut und Hunger, die durch seine quälende Hypochondrie noch verschlimmert wurde.

    "Ihr fragt nach meiner Krankheit? Es war ein schleichendes, von der Galle herrührendes Fieber, das viermal wiederkehrte, weil ich verschiedentlich Diätfehler beging. Am 29. Mai zwang mich mein Weib durch ihre Quengeleien, einmal meinen ganzen Körper zu waschen. Es steckte mich in einen Zuber (denn es hat einen Abscheu vor öffentlichen Bädern) mit stark erhitztem Wasser; diese Hitze bekam mir nicht und schnürte mir die Eingeweide zusammen. Am 31. Mai nahm ich, nach meiner Gewohnheit, ein leichtes Abführmittel ein. Am 1. Juni ließ ich mich, ebenfalls nach Gewohnheit, selbst zur Ader; Keine ernstliche Krankheit, ja nicht einmal der Verdacht einer solchen zwang mich dazu, und auch keine astrologischen Überlegungen. Nach dem Blutverlust fühlte ich mich ein paar Stunden wohl; am Abend jedoch warf mich ein böser Schlaf wider Willen aufs Bett und schnürte meine Därme zusammen. Zweifellos stieg mir die Galle wieder ins Hirn, an den Eingeweiden vorbei. Ich glaube, zu den Leuten zu gehören, deren Gallenblase eine direkte Öffnung in den Magen besitzt; solche Leute sind in der Regel kurzlebig..."

     

    Das Fernrohr

    Im Jahr nach der Veröffentlichung der neuen Astronomie war er so bedrückt wie noch nie. "Mein Geist darniederliegend in jammervoller Winterstarre." Doch dann trat ein Ereignis ein, das ihn aus seiner Bedrücktheit riss, seinen Geist nicht nur auftaute, sondern zu sprudeln und kochen brachte. Man berichtete, dass ein Mathematiker namens Galilei in Padua ein holländisches Fernglas auf den Himmel gerichtet habe, und mittels dieser Linsen 4 neue Planeten zu den längst bekannten 5 entdeckte.

    "Ich empfand eine wunderbare Erregung des Gemüts, während ich der seltsamen Erzählung lauschte. Ich fühlte mich in meinem tiefsten Wesen ergriffen..."

    Sogleich antwortete er in seiner "Dissertatio cum nuncio sidereo" und unterstützte Galilei in seiner Arbeit. Im September 1610 schrieb Kepler innerhalb nur weniger Wochen eine theoretische Abhandlung, in der er eine neue Wissenschaft begründete und seinen Namen für sie prägte: "Dioptrice" - die Wissenschaft der Strahlenbrechung durch Linsen. Er fand zwar nicht die genaue Fassung des Brechungsgesetzes, doch konnte er aus seinem System geometrischer und instrumentaler Optik sein sogenanntes astronomisches (später "Keplersches") Teleskop ableiten. In seinem ersten Buch über Optik (Astronomiae pars optica), das 1604 erschienen war, hatte er nachgewiesen, dass die Lichtstärke mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, hatte das Prinzip der Kamera obscura erklärt und wie Brillen für Kurz- und Weitsichtigkeit wirken. Für sie existierte keine Theorie, obwohl Brillen schon in der Antike verwendet wurden. Auch gab es zuvor keine befriedigende Erklärung des Sehvorganges.
     
     

     

     


    Linz
     

    1611 brach in Prag der Bürgerkrieg aus, das bedeutete für Kepler nicht nur die Abdankung seines kaiserlichen Herrn und Versorgers, es brachte auch den Tod seiner Frau und seines Lieblingskindes.

    Das war erst der Anfang einer Reihe von Unglücksfällen, die Kepler in seinen letzten 20 Jahren ereilen sollten. Mit dem Tod des Kaisers im Jahr 1612 ging Keplers fruchtbarste und ruhmreichste Zeit zu Ende, und er nahm mit 41 Jahren die Stellung eines Landschaftsmathematikers in Linz an.

    Auch dort war er in religiöse Konflikte verwickelt, diesmal mit den Protestanten. In der Diskussion um die leibliche Anwesenheit Christi bei der Kommunion nahm Kepler nicht den Standpunkt der Lutheraner ein und wurde daher von der Kommunion ausgeschlossen. Er verfasste einige Schriften mit religiösem Einschlag, etwa einen Kommentar zur Messfeier oder eine Betrachtung über das Geburtsjahr Jesu "De vero anno", in dem er den Stern von Betlehem als Konjunktion der beiden großen Planeten Jupiter und Saturn annimmt.
     

     

    Der Hexenprozeß der Mutter

    Der Wahnsinn der Hexenverfolgungen erreichte im 17. Jahrhundert gleicherweise im katholischen als auch im protestantischen Deutschland einen Höhepunkt. Nun war Keplers Mutter eine alte Frau, deren Sucht, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, sie zum idealen Opfer machte. Ein Streit, den Katharina mit ihrer ehemals besten Freundin hatte, wurde ihr zum Verhängnis. Sie wurde von ihr angeklagt, ihr einen Hexenbann gegeben zu haben, der zu dauernder Krankheit führte. Sie wurde beschuldigt, ein zwölfjähriges Mädchen verhext zu haben, das auf der Straße an der Mutter Keplers vorbeikam und einen plötzlichen Schmerz im Arm verspürte, welcher daraufhin eine zeitlang gelähmt blieb.

    Kepler musste wieder einmal allein, ohne Hilfe, für eine unpopuläre Sache eintreten. Als Hofmathematiker seiner römisch-deutschen Majestät verlangte er Abschriften aller Dokumente, die sich auf den Fall seiner Mutter bezogen. Dieser Ton tat die gewünschte Wirkung. Die Mutter flüchtete mit ihm nach Linz, wo sie im Dezember 1616 ankam. Doch nach neun Monaten packte sie das Heimweh, und sie kehrte zu ihrer Tochter Margarethe zurück, der Gefahr trotzend, auf dem Scheiterhaufen zu enden.

    In den nächsten 2 Jahren, den ersten Jahren des 30jährigen Krieges, geschah wenig, doch in der Nacht des 7. Augustes 1620 wurde die Mutter Keplers im Pfarrhaus ihres Schwiegersohnes verhaftet. Erneut sandte man einen Hilferuf nach Linz, worauf sich Kepler sofort auf den Weg nach Württemberg machte, wo man ihm 6 Wochen zur Vorbereitung ihrer Verteidigung Zeit gab. Das Verfahren zog sich noch ein Jahr hin, und als Keplers Mutter sich auch nicht unter Androhung der Folter zur Hexerei bekannte, wurde sie nach 14 Monaten Gefängnis freigelassen. Sie starb 6 Monate später.
     

     

    Die Harmonie der Welt

    Unter solchen Umständen schrieb Kepler die "Harmonice mundi". Es ist das hohe Lied eines Mathematikers, dem obersten Harmonisten der Schöpfung gewidmet, die Fortsetzung des Mysterium cosmographicum. Das letzte Geheimnis des Universums in einer alles umfassenden Synthese von Geometrie, Musik, Astronomie, Astrologie und Theologie zu enthüllen, war sein größtes Ziel.

    Die ersten beiden von fünf Büchern beschäftigten sich mit dem Begriff der Harmonie in der Mathematik, die letzten drei mit den Anwendungen dieses Begriffs auf die Musik, Astrologie und Astronomie. Unter Harmonie verstand Kepler bestimmte geometrische Verhältnisse, die sich für ihn überall spiegelten, die Urbilder der universellen Ordnung. Eben diese geometrischen Verhältnisse sind die reinen Harmonien, die Gott beim Schöpfungswerk leiteten; wogegen die sinnliche Harmonie, die wir beim Anhören musikalischer Konsonanzen aufnehmen, bloß einen Nachhall der reinen Harmonie gibt.

    Seine Erklärung in der Musik, warum das Verhältnis zweier schwingender Saiten 3:5 beispielsweise einen Wohlklang, das von 3:7 indessen einen Missklang ergibt, lag nicht in arithmetischen , sondern in geometrischen Überlegungen. Ein Kreis, der in fünf Teile geteilt wird, die zum ganzen Kreis im Verhältnis 1:5 bzw. 4:5 stehen, ergibt die Konsonanzen, und ein solches Fünfeck lässt sich mit Zirkel und Lineal konstruieren, den einzigen zulässigen Werkzeugen der klassischen Geometrie. Das war Keplers Antwort, warum Gott das Siebeneck und die anderen Figuren dieser Art nicht verwendete. So entstanden durch Unterteilung des Kreises durch konstruierbare, regelmäßige Polygone die reinen Urtypen der Harmonie und deren Widerhall, die Konsonanzen in der Musik.

    Nachdem er seine harmonischen Proportionen in den folgenden Abschnitten auf verschiedene Bereiche angewendet hatte (z.B. Metaphysik, Erkenntnistheorie, Politik), kehrte er in seinem fünften und letzten Buch schließlich wieder zur Kosmologie zurück. Das Universum, das er mit seinen fünf vollkommenen Körpern errichtet hatte, stimmte mit den Beobachtungstatsachen nicht überein. Er versuchte, die harmonischen Verhältnisse so zwischen die festen Körper einzupassen, dass sich die Lücken schließen und die Unregelmäßigkeiten verschwinden. Der Versuch, die Harmonien den Umlaufzeiten der verschiedenen Planeten zuzuschreiben, misslang. Er selbst meinte: "Wir schließen, dass Gott, der Schöpfer, nicht wünschte, die harmonischen Proportionen in die Dauer der Planetenjahre einzuführen."

    Diese Harmonien fand Kepler in den Winkelgeschwindigkeiten der Planeten. Der Saturn bewegte sich in seinem sonnenfernsten Punkt mit 106 Bogensekunden pro Tag, in seiner größten Sonnennähe mit seiner größten Geschwindigkeit, 135 Bogensekunden pro Tag. Das Verhältnis der beiden Grenzgeschwindigkeiten ergibt ca. 4:5 - die große Terz. Genauso ergibt das Verhältnis von Jupiter die kleine Terz, der Mars die Quint, usw. Die extremen Werte ergaben tatsächlich die Intervalle der ganzen Tonleiter.

    "Die Himmelsbewegungen sind nichts als ein ununterbrochener Gesang für mehrere Stimmen (die durch den Intellekt, nicht durch das Ohr, aufgenommen werden); eine Musik, die durch dissonante Spannungen, durch Synkopen und Kadenzen sozusagen (wie sie die Menschen in Nachahmung dieser natürlichen Dissonanzen verwenden), zu bestimmten urbildlichen, gleichsam sechsstimmigen Schlüssen fortschreitet und dabei Marksteine in dem unermeßlichen Strom der Zeit setzt. Es ist deswegen nicht länger überraschend, daß der Mensch, in Nachahmung seines Schöpfers, schließlich die Kunst des figurierten Gesanges entdeckte, die den Alten nicht bekannt war. Der Mensch wollte die ununterbrochene Dauer der kosmischen Zeit in einer kurzen Stunde wiedergeben durch eine kunstvolle Symphonie für mehrere Stimmen, um eine Ahnung vom Entzücken des Schöpfers an seinem Werk zu erhalten und teilzunehmen an seiner Freude, indem er, Gott nachahmend, Musik macht."

    Er beendete das Buch am 27. Mai 1618. Zwischen dem üppigen Gewucher der Phantasie enthält Keplers fünftes Buch der Harmonice Mundi auch sein drittes Gesetz der Planetenbewegung. Es lautet: "Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Kuben ihrer großen Bahnhalbachsen." Die genauen Umstände der Entdeckung dieses dritten Gesetzes zeichnet Kepler selbst:

    "Am 8. März gegenwärtigen Jahres 1618, falls genaue Daten gefordert werden, kam mir [die Lösung] in den Kopf. Ich hatte aber keine glückliche Hand, und als ich die Lösung durch Berechnungen nachprüfte, verwarf ich sie als falsch. Schließlich fiel sie mir am 15. Mai wieder ein und besiegte bei einem neuen Angriff die Finsternis meines Geistes. Sie stimmte derart genau mit den Daten überein, welche meine siebzehn Jahre Arbeit an Tychos Beobachtungen ergeben hatten, daß ich zuerst glaubte, zu träumen oder eine Beweisunterschiebung begangen zu haben ..."
     

     

    Zweite Heirat

    1613 fand für Kepler ein sehr wichtiges Ereignis statt, seine zweite Heirat mit Susanne Reutinger. Er war 44, sie, die Tochter eines Schreiners, war 24 Jahre alt. Wie schon bei seiner ersten Heirat spielten auch diesmal seine Freunde als Vermittler eine besondere Rolle, er hatte die Wahl unter 11 Anwärterinnen. Dieses Eliminationsverfahren beschrieb Kepler in einem Brief an einen unbekannten Edelmann bis ins kleinste Detail. So zählt dieses sonderbare Dokument zu einer seiner aufschlussreichsten Schriften. Die richtige Frau unter 11 Anwärterinnen zu finden, löste er auf eine ähnliche Weise, wie er die Marsbahn fand. Über seine fünfte Anwärterin, seine spätere Frau, schrieb er in dem Brief folgendes:

    "... die fünfte wiederum war ihr überlegen durch ihre Liebe, durch das Versprechen, bescheiden, sparsam, fleißig zu sein und die Stiefkinder zu lieben. Während ich mich lange und schwer mit diesem Problem abquälte, wartete ich auf den Besuch der Frau Helmhard und fragte mich, ob sie mir wohl raten werde, die dritte zu heiraten, die dann über die zuletzt genannten zwei den Sieg davongetragen haben würde. Nachdem ich schließlich gehört hatte, was diese Frau mir zu sagen hatte, begann ich mich für die vierte zu entscheiden, ärgerlich darüber, daß ich auf die fünfte verzichten mußte. Während ich so überlegte, griff, gerade als ich eine Entscheidung treffen wollte, das Schicksal ein: Die vierte wurde meines Zauderns überdrüssig und gab einem anderen Bewerber ihr Jawort. Doch genau wie es mich eben verdrossen hatte, die fünfte aufzugeben, war ich nun durch den Verlust der vierten dermaßen verletzt, daß auch die fünfte ihre Anziehungskraft auf mich verlor. In diesem Fall liegt die Schuld sicher bei meinen Gefühlen. Was nun die fünfte betrifft, so stellt sich auch hier die Frage, warum Gott es zuließ, da sie doch einmal für mich bestimmt war, daß sie im Verlauf eines Jahres noch sechs Nebenbuhlerinnen haben sollte. Gab es keinen anderen Weg für mein unruhiges Herz, zu lernen, mit seinem Los zufrieden zu sein, als den, die Unmöglicheit der Erfüllung so vieler anderer Wünsche einzusehen?"

    Kepler traf offensichtlich die richtige Wahl, und Susanne erfüllte alle seine Erwartungen. Sie gebar ihm 7 Kinder, wobei aber drei in frühester Jugend starben.

    Anlässlich der Hochzeit, zu der er offenbar eine größere Menge von Wein bereitstellen musste, fiel ihm auf, dass das Fassungsvermögen der verwendeten Weinfässer auf eine erstaunliche Art gemessen wurde. Unabhängig von der speziellen Form wurde eine Messrute diagonal eingeführt und der Inhalt einfach abgelesen. Das war eine Herausforderung für Keplers ruhelosen Geist, und er befasste sich sogleich mit der Volumsberechnung von Drehkörpern. Nach kurzer Zeit legte er ein Büchlein vor: "Nova stereometria" (Neue Stereometrie der Fässer). Dort erkannte er das österreichische Fass als jenes mit dem größten Inhalt im Verhältnis zur diagonalen Innenlänge und weiters, dass kleine Abweichungen von der Idealform ohne Einfluss auf sein Fassungsvermögen bleiben. Seine Erkenntnis, dass die Wertänderung in der Nähe des Maximums verschwindet, macht ihn zu einem Vorläufer der Differentialrechnung.

    Das Buch schließt mit den Worten:

    Et cum pocula mille mensi erimus, Conturbabimus illa, ne sciamus.

    (Und wenn wir 1000 Becher geleert haben, dann verwirren wir sie in unserem Gedächtnis, daß wir es nicht mehr genau wissen.)
     

     

    Epitome Astronomiae Copernicanae und Tabulae Rudolphinae

    Mit der Herausgabe der Harmonice Mundi 1619 lag Keplers bahnbrechendstes Werk hinter ihm, doch er fuhr in den ihm verbleibenden 11 Jahren unablässig fort, Bücher und Flugschriften zu produzieren, Kalender und Ephemeriden, ein Buch über Kometen und ein anderes über neue Erfindungen nebst zwei größeren Arbeiten, den "Epitome Astronomiae Copernicanae" und den "Rudolfinischen Tafeln". Beim erstgenanntem Werk, den Epitome, handelt es sich um ein Lehrbuch, in dem die Gesetze, die ursprünglich nur für den Mars galten, auf alle anderen Planeten übertragen werden, einschließlich des Erdmondes und der Satelliten Jupiters. Hilfskreise waren verschwunden, das Sonnensystem zeigte sich in ziemlich gleicher Form wie in heutigen Schulbüchern. Es war Keplers umfangreichste Arbeit und bedeutendste systematische Darstellung der Astronomie seit Ptolemäus Almagest.
    Keplers eigenhändiger Entwurf zum Titelblatt der Rudolfinischen Tafeln: Ein Tempel der Astronomie Titelblatt der Rudolfinischen Tafeln. Der alte Kepler sitzt im Sockel unter den großen Astronomen und wartet auf Geld vom kaiserlichen Adler (vergrößerter Ausschnitt weiter unten)

    Das zweite Hauptwerk waren die lange erwarteten Rudolfinischen Tafeln, die auf Tychos Lebensarbeit basieren, Keplers abschließende Leistung in praktischer Astronomie. Die Fertigstellung dieses Werkes, auf das Astronomen und Seefahrer, Kalendermacher und Horoskopsteller schon ungeduldig warteten, wurde um beinahe 30 Jahre hinausgezögert, durch Tychos Tod, den Streit mit dessen Erben und den entstandenen Krieg. Mit mehr als 50 Jahren machte sich Kepler endlich an diese Aufgabe, und im Dezember 1623 berichtete er an einen englischen Korrespondenten triumphierend: "Video portum" - Ich sehe den Hafen. Und sechs Monate später an einen Freund: "Die Rudolfinischen Tafeln, die ich von Tycho Brahe empfing, habe ich 22 Jahre in mir herumgetragen, wie der Same nach und nach in Mutters Schoß entwickelt wird. Jetzt quälen mich die Geburtsschmerzen."Modell zum Titelblatt der Rudolfinischen Tafeln (Erika Thümmel)

    Der Druck der Tafeln nahm nicht weniger als 4 Jahre in Anspruch. So etwa besaß Linz keine geeignete Druckerpresse für derartige Aufgaben, weshalb sich Kepler wieder auf Reisen machen musste, um geschickte Drucker in anderen Städten aufzutreiben. Zur gleichen Zeit erhielten alle Protestanten in Linz den Befehl, den katholischen Glauben anzunehmen oder die Stadt innerhalb von sechs Monaten zu verlassen, wobei bei Kepler wieder eine Ausnahme gemacht wurde. Als sich der Krieg Linz näherte, baten die Behörden Kepler um Rat, wie man die Bücher der Landesbibliothek vor Feuergefahr schützen könnte. Er befahl, sie in Weinfässer zu verpacken, die sich von den gefährdeten Stellen leicht wegrollen ließen.

    Nach einer zweimonatigen Belagerung von Linz, die von Juni bis August 1626 dauerte, die auch die Zerstörung der Druckerpresse zur Folge hatte, konnte Kepler mit Zustimmung des Kaisers nach 14 langen Jahren Linz verlassen. Nach 7 Monaten, im September 1627, lag das Buch endlich fertig vor, gerade zur rechten Zeit für den jährlichen Büchermarkt der Frankfurter Messe. Die Rudolfinischen Tafeln dienten länger als ein Jahrhundert zum Studium des Himmels - sowohl der Planeten als auch der Fixsterne. Das Werk besteht größtenteils aus Tafeln und Regeln zur Vorhersage der Planetenstellungen und aus Tychos Katalog der 777 Sternörter, die Kepler auf 1.005 erweitert hat, Refraktionstabellen, Logarithmen und einem Verzeichnis der Städte der Welt.

    Kepler hat das Titelbild selbst entworfen, welches einen griechischen Tempel darstellt, unter dessen Säulen fünf Astronomen in lebhafter Diskussion stehen, ein alter Babylonier, Hipparchos, Ptolemäus, Domherr Kopernikus und Tycho de Brahe. Er selbst hat sich in einer kleinen Nische, unter den Füßen der fünf Unsterblichen in der Mauer an der Basis des Tempels, niedergelassen.

     

     


    Die letzten Lebensjahre
     

    Die letzten 3 Jahre von Keplers Leben waren gezeichnet von der Suche nach einer neuen Heimat, er hatte Linz verlassen, ohne irgendwo festen Wohnsitz zu nehmen - "Welchen Platz soll ich mir suchen, einen, der bereits zerstört wurde, oder einen, der erst zerstört werden wird?" Sobald die Rudolfinischen Tafeln beendet waren, setzte die Spannung aus und Kepler schien mehr oder minder ziellos umherzuwandern. Die Misslichkeit seiner Lage lebte aber zum größten Teil in seiner Einbildung, denn es wurde ihm z.B. der begehrteste Lehrstuhl Italiens angeboten und auch eine Einladung nach England. Diese und auch eine Einladung seines Freundes Bernegger nach Straßburg an die Universität hatte er abgelehnt, weil er sich die Auslagen für die Reise nicht leisten konnte. Auch die Feindseligkeit seines Kaisers existierte bloß in Keplers Phantasie. Er reiste im Dezember 1627 von Ulm nach Prag, wo er zu seiner Überraschung als Persona grata empfangen wurde. Dort traf er auf Wallenstein, der einige Wochen vor Kepler nach Prag gekommen war.Der alte Kepler (Ausschnitt aus dem Titelblatt der Rudolfinischen Tafeln)

    20 Jahre zuvor hatten sich die Wege des kaiserlichen Generals und des kaiserlichen Mathematikers schon einmal gekreuzt. Wallenstein gehörte zu den treuen Gläubigen der Astrologie. Wie schon damals stellte Kepler auch 16 Jahre später wieder ein Horoskop für Wallenstein, warnte aber vor dem Missbrauch der Astrologie. Das zweite Horoskop aus dem Jahre 1624 umfasste den Zeitraum bis 1634, in dem er fürchterliche Wirren über das Land voraussagte: Wallenstein wurde am 25. Februar 1634 ermordet.

    Bei dieser Begegnung wurde Kepler zu Wallensteins Privatmathematiker in dem eben erworbenen Herzogtum Sagan in Schlesien ernannt. Danach verließen beide Männer im Mai 1628 Prag. Wallenstein machte sich zur vergeblichen Belagerung Stralsunds auf, mit der sein Niedergang begann, und Kepler zu einem Besuch von Frau und Kindern in Regensburg. Nach seiner Reise nach Linz, um seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, kam er im Juli in Sagan an. Die Situation ähnelte jener von Graz und Linz: Die Menschen wurden gezwungen, katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Hier gab es natürlich auch keine Druckerei, und so musste sich Kepler wieder auf den Weg machen, um Typen, Maschinen und Drucker aufzutreiben Dies nahm beinahe 18 Monate der insgesamt 2 Jahre in Anspruch, die er in Sagan verbrachte. Die Presse wurde im Dezember 1629 in seiner eigenen Wohnung aufgestellt und er begann mit einem einträglichen Unternehmen, der Herausgabe von Ephemeriden (genaue Angaben über die Bewegungen der Planeten innerhalb eines Jahres) für die Jahre 1629 bis 1636, dazwischen begann er auch mit dem Druck eines alten Lieblingswerkes, des "Somnium" - der Traum einer Reise zum Mond.
     

     

    Somnium - der Traum vom Mond

    Es blieb ein Bruchstück. Kepler starb vor der Vollendung des Werkes, das erst nach seinem Tod, 1634, erschien. Bei diesem Werk handelte es sich um einen der ersten Science fiction Romane im moderneren Sinn. Die Erzählung übte einen beträchtlichen Einfluss auf die späteren Schilderer interplanetarer Reisen aus (John Wilkins, Henry More, Samuel Butler, Jules Verne). In der Astronomia Nova war Kepler der universellen Gravitation derart nahe gekommen, in diesem Werk setzte er das Vorhandensein schwereloser Zonen - den Alptraum der Science fiction, als selbstverständlich voraus. Im Somnium ging er sogar noch einen Schritt weiter, indem er Springfluten auf dem Mond annahm, die von der vereinten Anziehungskraft der Sonne und der Erde hervorgerufen werden.

    Die Verbindung zwischen Kepler und Wallenstein erwies sich für beide Teile als Enttäuschung. Wallenstein hatte kein echtes Interesse an der Wissenschaft, es bereitete ihm eine gewisse snobistische Genugtuung, einen in ganz Europa berühmten Mann als Mathematiker an seinem Hof zu haben. Was er von Kepler wollte, waren astrologische Ratschläge vor politischen und militärischen Entscheidungen, doch Keplers Antworten auf konkrete Fragen waren stets ausweichend. Obwohl Kepler nur selten über seine persönlichen Kontakte mit Wallenstein sprach, schrieb er in einem seiner letzten Briefe:

    "Ich bin vor kurzem aus Gitschin zurückgekehrt [Wallensteins Wohnsitz], wo ich meinem Gönner drei Wochen lang aufwarten mußte - was für uns beide ein ziemlicher Zeitverlust war."

    Drei Monate später, als der Kaiser durch den Druck der Nebenbuhler Wallenstein verabschiedete, glaubte Kepler an das Ende und machte sich noch einmal, zum letzten Mal, auf die Wanderschaft. Er brach im Oktober von Sagan auf, ließ seine Familie zurück, mit der Absicht, sich um eine neue Anstellung umzusehen, und zu versuchen, etwas von dem Geld herauszubekommen, das der Kaiser und die Stände ihm schuldeten. Er besaß zwar Guthaben an verschiedensten Orten, war aber nicht einmal imstande, die ihm gebührenden Zinsen zu bekommen. Bei seiner letzten Reise nahm er sein ganzes Bargeld mit sich und ließ seine Frau Susanne mit den Kindern ohne einen Pfennig zurück.

    Es folgte eine seiner merkwürdigsten Vorahnungen. Die Horoskope für die seinem 60. Geburtstag vorausgehenden und folgenden Jahre zeigten bloß die Stellung der Planeten, aber keinen Kommentar. Eine Ausnahme zeigte hier sein letztes, das sechzigste. Er hielt fest, dass die Planeten beinahe genau gleich stünden, wie bei seiner Geburt. Von seiner ersten Etappe nach Leipzig ritt er weiter nach Nürnberg, um einen Drucker zu besuchen, von dort nach Regensburg, wo er am 2. November 1630 ankam. 3 Tage später legt er sich mit Fieber zu Bett. Der lutherische Prediger Jakob Fischer schrieb in einem Brief an einen Freund:

    "Während des neulich abgehaltenen Reichstags kam unser Kepler in dieser Stadt auf einer alten Mähre an (die er hierauf um zwei Gulden verkaufte). Kaum war er drei Tage hier, erkrankte er an einer hitzigen Krankheit. Erst glaubte er, an sacer ignis (Fieberbläschen) zu leiden und achtete nicht darauf. Als das Fieber ärger wurde, ließ man ihn zur Ader, ohne Erfolg. Bald trübte sich sein Geist durch das ständig zunehmende Fieber. Er redete nicht wie einer, der seiner geistigen Fähigkeiten mächtig ist. Verschiedene Prediger besuchten ihn und erquickten ihn mit dem lebendigen Wasser des Trostes. In seinem letzten Kampf, als er Gott seinen Geist zurückgab, sprach ihm, wie es sich für einen Diener Gottes ziemt, der evangelische Geistliche von Regensburg, Sigismund Christoph Donavarus, einer meiner Verwandten, männlich Trost zu. Das geschah am 15. November 1630. Am 19. wurde er auf dem St.-Peters-Friedhof außerhalb der Stadt begraben."

    Der Friedhof wurde während des 30jährigen Krieges zerstört, Keplers selbstverfasste Grabinschrift blieb jedoch erhalten:

    "Himmel durchmaß mein Geist, nun meß' ich die Tiefe der Erde; ward mir vom Himmel der Geist, ruht hier der irdische Leib."

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